Interview mit Imke Rolf, Inga Heinz-Fischer und Clara Hirzel, Psycho­lo­ginnen in der Psycho­logi­schen Ber­atung

Im Juli 2022 ging beim Studierendenwerk Dortmund ein neu geschaffener Bereich an den Start: die Psychologische Beratung für Studierende. Drei Psychotherapeutinnen bieten seitdem Studierenden jederzeit ein offenes Ohr und unterstützen sie dabei Schwierigkeiten aus eigener Kraft zu lösen. Wie dieses Beratungsangebot angelaufen ist und welche Angebote Studierende darüber hinaus nutzen können, darüber sprachen wir mit Inga Heinz-Fischer, Clara Hirzel und Imke Rolf.

Die Psychologische Beratung ist 2022 erstmals beim Studierendenwerk etabliert worden. Was denken Sie, warum ist dieses Angebot so wichtig für Studierende?

Inga Heinz-Fischer: Das Studium bringt zahlreiche Anforderungen mit sich, die an der einen oder anderen Stelle auch zu Belastungen führen können. Zusätzliche Faktoren wie Krisen, beispielsweise ausgelöst durch die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine sowie die damit verbundenen Konsequenzen, können die Belastung dann noch weiter steigern.

Clara Hirzel: Generell kann man sagen, dass die psychische Belastung unter den Studierenden insgesamt sehr hoch ist. Verschiedene Studien nennen hier Zahlen zwischen 25 bis 40 Prozent. Dafür spricht auch, dass die bereits bestehenden Beratungsangebote der Hochschulen hier auf dem Campus den Bedarf nicht mehr decken können. Häufig werden Klientinnen und Klienten von dort an uns verwiesen.

Die psychische Belastung unter den Studierenden ist sehr hoch. Studien geben an, dass zwischen 25 und 40 Prozent der Studierenden zum Beispiel unter Stress, Überforderung, aber auch Einsamkeit leiden. Die Nachfrage nach psychologischer Beratung ist dementsprechend groß.

Clara Hirzel

Was sind aus Ihrer Sicht und aufgrund der bisherigen Erfahrung, die häufigsten Probleme unter denen Studierende, die zu Ihnen kommen, leiden?

Imke Rolf: Das ist sehr unterschiedlich und die Probleme sind vielfältiger Art. Oft wird uns in den Beratungsgesprächen von studiumsbezogenen Problemen wie Prüfungsängsten, Aufschiebeverhalten aber auch von depressiven Stimmungen berichtet. Soziale Unsicherheiten und die daraus resultierenden Kontaktschwierigkeiten sowie Einsamkeitsgefühle kommen ebenfalls häufig zur Sprache.

Wie schätzen Sie das ein: Hängen auch jetzt noch viele Probleme möglicherweise mit den Folgen der Corona-Pandemie zusammen?

Clara Hirzel: Darauf eine eindeutige Antwort zu geben, ist sehr schwer. Was wir aber in unserer täglichen Arbeit feststellen ist, dass vielen Studierenden, die ihr Studium während der Corona-Krise begonnen haben jetzt bestimmte Fähigkeiten, soziale Kontakte und Erfahrungen fehlen, die sie normalerweise in den ersten Semestern hätten sammeln können. So sind viele Studierende, die uns zu uns kommen teilweise überfordert, zum Beispiel mit den Abläufen oder können sich zum Teil selbst nicht gut strukturieren – einfach, weil sie es in den ersten Semestern gemeinsam mit anderen nicht lernen konnten. Daraus entstehende Probleme treten jetzt im Präsenzbetrieb zu Tage.

Welche Probleme sind das konkret?

Imke Rolf: Nun, viele Studierende haben den Umstieg auf die Präsenzlehre noch nicht so richtig geschafft. Das wird derzeit sichtbar und wir gehen davon aus, dass es noch andauern wird. So ist vielen zum Beispiel der Wechsel von Online-Prüfungen zu Präsenzprüfungen schwergefallen. Auch die Tatsache, dass während der Pandemie häufig mehrere Fehlversuche gestattet waren, die es nun in dieser Form nicht mehr gibt, offenbart bei den Studierenden in manchen Bereichen Schwächen, die das Studium dann erschweren.

Clara Hirzel: Diese Schwächen sind aber nicht immer nur auf die Fähigkeiten und das Wissen bezogen, sondern zeigen sich eben auch auf sozialer Ebene. Das Online-Studium Zuhause hat nun einmal nicht die Möglichkeit geboten, in den direkten Austausch zu gehen, Kontakte zu knüpfen und zum Beispiel auch von anderen Mitstudierenden zu lernen. Gegenseitig sein Wissen abzufragen und sich somit selbst auch zu prüfen.

Inga Heinz-Fischer: Was wir hier aber noch besonders betonen möchten, ist, dass wir in unserer Beratung immer nur diejenigen Studierenden kennenlernen, die eben durch Probleme belastet sind. Wie gut oder schlecht der Großteil der Studierenden durch die Pandemie gekommen ist, können wir nicht beurteilen.

Sie haben alle bereits Erfahrungen in anderen Bereichen gesammelt. Würden Sie sagen, dass sich die Arbeit hier auf dem Campus von anderen Wirkungsfeldern unterscheidet? Und wenn ja, in welcher Form?

Imke Rolf: Viele Studierende bringen Ressourcen mit, die in unserer Arbeit gut nutzbar sind. Gleichzeitig ist allerdings häufig ein starker Zeit- und Leistungsdruck spürbar – nicht immer ist es da einfach, passgenaue, individuelle Lösungen zu finden, die so schnell wirken, wie es sich die Betroffenen wünschen würden.

Inga Heinz-Fischer: Ein Punkt ist sicherlich auch, dass wir hier nur eine begrenzte Anzahl an Terminen haben und somit weniger die Möglichkeit, tiefer in die Themen einzusteigen, obwohl dies sicherlich in einigen Fällen notwendig wäre. Dies kann auch für uns manchmal frustrierend sein.
Ein weiterer Punkt ist zudem der Kontext. Der Campus ist nicht klassischerweise das Umfeld, in dem man eine Psychologische Beratung vermutet, auch wenn es diese Angebote bei den Hochschulen bereits seit längerer Zeit gibt. Um unsere Zielgruppe zu erreichen und unser Angebot bekannt zu machen, sind andere Maßnahmen nötig als in der ambulanten Praxis der Psychotherapeutischen Arbeit.

Imke Rolf: Eine andere Erfahrung, die wir hier gemacht haben, ist, dass zu uns Studierende kommen, die sehr klar umrissene Probleme schildern, die sie bereits reflektiert haben. Unser niederschwelliges Angebot kann da oftmals auch recht kurzfristig helfen und wir sehen, dass viele, die bei uns Beratungstermine wahrgenommen haben, schon nach wenigen Gesprächen wieder sehr gut klarkommen.

Wir sehen unsere Aufgabe auch klassischerweise als das „offene Ohr“. Wir hören zu bei Problemen, die die Studierenden vielleicht nicht im Freundeskreis oder in der Familie besprechen wollen.

Inga Heinz-Fischer

Wenn eine Studentin oder ein Student in Ihre Beratung kommt, wie hat man sich den Ablauf vorzustellen?

Clara Hirzel: Im Erstgespräch wird zunächst das Anliegen geklärt. Das heißt, wir versuchen zu verstehen, mit welchem Problem der Student oder die Studentin in die Beratung kommt und welches Ziel er oder sie hat. Danach besprechen wir, ob wir an diesem Ziel in der Beratung arbeiten können oder ob eventuell ein anderes Hilfsangebot passender ist. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Hinweise auf eine psychische Erkrankung vorliegen – hier unterstützen wir die Studierenden dabei, sich eine ambulante Psychotherapie zu suchen.

Wenn ein Beratungsprozess bei uns aufgenommen wird, werden je nach Bedarf weitere Termine vereinbart, wobei wir individuell abstimmen, in welchen Zeitabständen und wie viele Termine insgesamt sinnvoll sind. Das hängt auch jeweils davon ab, wie komplex das Problem ist.

Wir möchten mit unserer Beratung auch präventiv tätig sein und schon dann helfen, bevor Probleme sich zu ernsthaften Belastungen entwickeln.

Imke Rolf

Neben der Beratung finden Studierende in der Psychologischen Beratung ja auch weitere Angebote wie beispielsweise Kurse oder Workshops. Welche Themen stehen dabei im Fokus und welche Inhalte oder Hilfestellungen möchten Sie vermitteln?

Inga Heinz-Fischer: Mit unseren Gruppenkursen und Workshops möchten wir versuchen, die in den Einzelberatung häufig auftretenden Themen aufzugreifen. Außerdem möchten wir damit Angebote schaffen, die in der Gruppe gut zu realisieren sind und in denen Betroffene von den Erfahrungen der anderen lernen können , wie zum Beispiel bei unserem fortlaufenden Angebot „Go for it!“. In dieser Gruppe haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, jede Woche mit fachlicher Unterstützung und gemeinsam mit anderen Studierenden die Umsetzung ihrer Vorhaben zu reflektieren.

Clara Hirzel: Aber auch Angebote, die mit einem weniger starken „Problemfokus“ daherkommen, möchten wir realisieren. Das Thema „Achtsamkeit“ spielt bei einem weiteren Workshop eine Rolle. Mit praktischen Übungen vermitteln wir, wie man mehr Achtsamkeit in seinen Alltag integrieren und dadurch zu mehr Gelassenheit und Ruhe finden kann.

Nicht zuletzt bieten wir mit unseren Gruppenangeboten auch den Raum für den Austausch untereinander und im besten Fall wirkt der Austausch auch über die Gruppentermine hinaus.

Wie sieht Ihr bisheriges Resümee aus? Wie gut wurde Ihr Angebot insgesamt angenommen?

Imke Rolf: Nach einer anfänglichen Phase, in der es erstmal darum ging, uns bekannt zu machen, wird unser Angebot jetzt sehr gut angenommen: Die zur Verfügung stehenden Erstberatungstermine sind durchgängig ausgebucht; die Nachfrage ist auch an den Hochschulen immer höher als das Angebot, sodass es leider immer wieder zu Wartezeiten für Studierende kommt.

Inga Heinz-Fischer: Schön ist auch, dass wir viele positive Rückmeldungen der Studierenden erhalten, die wirklich dankbar dafür sind, hier ein niederschwelliges Beratungsangebot zu finden. Auch die Beratungsstellen der Hochschulen haben sich darüber gefreut, dass sie nun auch an uns verweisen können, wenn sie selbst keine freien Termine mehr haben. Der Bedarf ist eben groß.

Welche Planungen stehen für das kommende Jahr an?

Imke Rolf: Wir möchten gern unser Gruppenprogramm weiter ausbauen und hier neue Themen und Inhalte für die gemeinsame Arbeit mit den Studierenden identifizieren.

Inga Heinz-Fischer: Bislang gibt es für Studierende viele Schwierigkeiten, Therapieplätze zu finden. Hier trifft eben eine hohe Nachfrage auf eine massive Unterversorgung. Wir möchten gern ein Netzwerk aufbauen, dass es uns ermöglicht insbesondere in dringenden Fällen, schnelle Hilfe anbieten zu können. Wir sind manchmal mit Studierenden in echten Notfällen konfrontiert, die uns berichten, dass wir die einzige Anlaufstelle für sie waren, die ihnen kurzfristig einen Beratungstermin ermöglichte.

Clara Hirzel: Ein weiterer Aspekt ist sicherlich auch die Verbesserung der administrativen Abläufe. Wir haben die Psychologische Beratung ja erst im letzten Jahr neu aufgebaut und konnten somit nicht auf eine bereits bestehende Struktur zurückgreifen. Die Themen Evaluation – nach Möglichkeit auch online – aber auch Analysen und Statistiken stehen dabei im Fokus.

Übersicht

Beratungsanfragen seit Juli 2022:
ca. 200

Beratungsgespräche insgesamt:
ca. 370

davon online:
ca. 120

Termine im Durchschnitt je Hilfesuchende*r
2,8

Themen der Gruppenangebote

  • Selbstwert: "Was bin ich (mir) wert?"

  • Weniger Stress, mehr Achtsamkeit

  • Erfolgreich kommunizieren

  • Go for it!

  • Vortrag über Depressionen